Über Schönheitswettbewerbe in der Werbung: Der große Mumpitz mit dem „Kreativradar“

Eine der hohlsten Angelegenheiten in der Werbung und ihrer Fachpresse ist das sogenannte „Kreativradar“, das der Leser in HORIZONT findet. Dort werden Werbeagenturen gerangreiht nach ihren Erfolgen bei Schönheitswettbewerben, im Branchenjargon „Creative Contests“ genannt. Dabei entsteht dann übers Jahr eine Hitparade der angeblich kreativsten Agenturen, was eine echte Luftnummer darstellt. Dagegen ist die Rangreihe bei jeder Wahl zu einer „Miss Kuhdorf“ seriöser.

Bärbel Unckrich hat eine „Sensation“ entdeckt – donni, donni aber auch! (aus: HORIZONT)

Ein Gleichnis: Wir kennen alle die Buch-Bestseller-Listen in den Medien. Die Reihenfolge der Erfolgsbücher ergibt sich aus den Verkaufserfolgen der Werke. Und nun stellt Euch mal vor, ein Medium macht eine neue Rangliste der Bücher, und zwar nach der Kreativität des Inhaltes und worüber diverse Juroren im In- und Ausland abgestimmt haben.

Lacht nicht, liebe Lesergemeinde, denn so ähnlich ist es beim „Kreativradar“: Die Agenturen werden nicht nach ihrem Erfolg am Point of Sale gelistet, sondern am Point of Nail, um nur mal den Nagel-Wettbewerb des ADC als Exempel für Werbewettbewerbe anzuführen. Und die Juroren, die über die Kreativität deutscher Werbung entscheiden, stammen aus aller Herren Ländern, obwohl deutsche Werbung gar nicht in Cannes wirken soll, sondern in Bad Cannstatt und von einem Engländer oder Japaner nur schwerlich beurteilt werden kann.

Wenn man weiter über solche Schönheitswettbewerbe nachdenkt, wird es noch viel schöner! Stellt Euch vor, eine kleine Werbeagentur hat fünf Kunden. Und für jeden dieser fünf Auftraggeber hat die Agentur ein Werbewerk kreiert und bei diversen Werbewettbewerben eingereicht. Und: Alle fünf Werke wurden überall prämiert, also 100%ige Kreativität einer Werbeagentur, kreativer geht’s gar nicht.

Doch dann ist da eine viel größere Werbeagentur, die hat 30 Kunden und bei denselben Werbewettbewerben 30 Werke eingereicht. Von diesen 30 eingereichten Arbeiten sind dann sechs ausgezeichnet wurden, was eine 80%ige Nicht-Kreativität der Agentur bedeutet. Trotzdem steht sie mit ihrer 20%igen Ausbeute auf dem „Kreativradar“ kreativer da als die 100%ige Agentur. Was also soll der Quatsch?!

Die Kreativlinge der Werbung empfangen ihre Auszeichnungen (Litho: A. Paul Weber)

Und dann gibt es eine Agentur, die gar keinen Preis gewonnen hat, und zwar weil sie bei Werbewettbewerben gar nichts eingereicht hat, sondern die gesparten Einsendegebühren stattdessen an „Brot für die Welt“ gespendet hat. Diese Agentur hat zwar in einem Jahr dank ihrer Kreativität alle zehn Pitches gewonnen, an denen sie teilgenommen hat, und hat dabei die Agenturen, die ganz vorn im „Kreativradar“ liegen, hinter sich gelassen. Aber sie wird selber nicht im „Kreativradar“ aufgeführt, weil sie die Einsendegebühren eben an „Brot für die Welt“ gespendet hat statt das Geld den Veranstaltern von Werbewettbewerben in den unerschöpflichen Rachen zu werfen.

Es gab auch schon Agenturen, die haben eine Super-Idee gehabt – eine einzige im gesamten Jahr! Und mit dieser einen Super-Idee kassieren sie bei diversen Wettbewerben ab und kommen auf diese Weise im „Kreativradar“ nach oben – mit ihrer einzigen Idee. Außerdem: Agenturen, die an jedem Wettbewerb teilnehmen, haben natürlich höhere Chancen, eine kreative Nummer zu werden, als Agenturen, die nur zu bestimmten Wettbewerben einsenden.

Den ganzen Kreativ-Output im Rahmen von Social-Campains, für die Agenturen ehrenamtlich arbeiten, weil sie dabei mit ihrem Gold-Ideen glänzen und grenzenlose Kreativität demonstrieren können, erwähnt Spießer Alfons nur mal der Vollständigkeit halber.

Was, liebe Lesergemeinde, ist überhaupt „kreative Werbung“? Auf diese Frage gibt es für Spießer Alfons nur eine Antwort, und die stammt von Benton & Bowles und wurde verbreitet durch David Ogilvy und also lautend: „It’s not crative unless it sells.“ Wobei das Selling natürlich auch bedeutet, wie ein Unternehmen sich selber verkauft mit seiner Werbung, sprich ein positives Image er-wirbt.

Spießiges Fazit: Werber, vergesst dieses ganze kreative Radar-Gedöns, geht wieder an Eure Arbeit und macht Verkaufsförderung für Eure Auftraggeber! Ausgezeichnete Werbung erkennt man einzig und allein daran, dass sie ausgezeichnet arbeitet, und zwar im Sinne des zahlenden Auftraggebers.

Postskriptum: Mit der Werbung ist es so wie mit der Fußball-Bundesliga: Nicht die Mannschaft, die am kreativsten spielt, wird Deutscher Meister, sondern diejenige, die am meisten Tore geschossen, bzw. Punkte gesammelt hat!

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht am 11. Januar 2017

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